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Aus dem Traum gerissen

Am 4. März, kurz vor 20.00 Uhr, ist ganz Lustenau außer Rand und Band! Die Austria steht zum zweiten Mal im Cupfinale. Endlich wieder Emotionen – endlich wieder auf der großen Fußballbühne. Von Covid-19 spricht noch kaum jemand. Zwar werden wenig später die ersten Corona-Schutzmaßnahmen erlassen, dies tut der Vorfreude aber keinen Abbruch.

Unsere Vorbereitungen schritten wie gewohnt voran. Choreographien, Fanwear, Fanfahrt und Treffpunkt wurden geplant. Doch in den folgenden Wochen dämmerte es auch dem letzten Optimisten: Das wird wohl nichts. Erst vor ein paar Tagen bestätigte der ÖFB, dass wir am 29. Mai um den Titel kämpfen. In einem leeren Stadion.

So richtig wahrhaben will das niemand, wirkt es doch immer noch surreal. Da egalisiert dein Verein nach all den Unsicherheiten vor einem Jahr – als durch den Wechsel an der Vereinsspitze wochenlange Ungewissheit herrschte – den größten Erfolg inklusive der Hoffnung, diesen Elan in die neue Saison mitzunehmen, und wenig später wird man jäh aus diesem Traum gerissen. So beschränkten sich unsere Aktivitäten in den letzten Wochen auf ein Dankesspruchband für die Heldinnen und Helden dieser Krise und auf eine Spendenaktion in Lustenau sowie für unsere Freunde in Augsburg, die um Sachspenden für verschiedene Institutionen gebeten haben.

Unser Augenmerk gilt nun der Zukunft: Als Gruppe ist es uns eine Herzensangelegenheit, die ohnehin schon gute Zusammenarbeit mit dem Verein beizubehalten. Wir werden den Fokus dabei aber verstärkt auf das Vereinsleben legen, insbesondere auf fördernde Aktivitäten im Nachwuchs. Wir sind überzeugt, dass wir als Szene gestärkt aus der Zwangspause zurückkehren. Ein Jammern über uninteressante Gegner wird es nicht mehr geben. Stattdessen wird die Zufriedenheit überwiegen – einfach wieder den geliebten Fußball live im Stadion erleben zu können, gemeinsam zu singen und zu klatschen, gemeinsam mit der Gruppe zu feiern und sich gemeinsam über das Vermummungsgebot statt -verbot zu „freuen“.

Die Austria steht als Traditionsverein derzeit erneut vor einem Wendepunkt. Einerseits könnte uns Corona „gerettet“ haben, andererseits auch das Genick brechen. Die Kurzarbeit hat sich positiv auf die Liquidität ausgewirkt und die milderen Lizenzbestimmungen haben uns – und wohl auch vielen anderen Clubs – bei der Lizenzierung wohlwollend in die Karten gespielt, da vor allem das Reichshofstadion längst nicht mehr die Kriterien erfüllt. Es gibt aber auch eine andere Seite der Medaille: Die aktuelle Situation reißt ein Loch in den Finanzhaushalt Vorarlbergs, der geplante Stadionausbau wackelt wieder. Durch die erzwungene Fortführung der Liga werden die Kosten bei stagnierenden Einnahmen wieder steigen, einzig Sponsorenverträge können erfüllt werden. Eine vernünftige Profifußball-Finanzierung nach Corona wird in diesem aufgeblasenen Apparat noch schwerer, als sie es ohnehin schon ist. Eine neue Saison ohne Zuschauer stellt für die jetzt schon unter geringer Attraktivität leidende Zweite Liga keine Option dar. Für die von der Krise gebeutelten Unternehmen wäre das – ohne Aussicht auf einen Stadionausbau in absehbarer Zeit – nur ein weiterer Grund, auslaufende Sponsoringverträge nicht zu verlängern.

Diese Krise deckt somit die Schwachstellen des „Systems Fußball" schonungslos auf. Die Abhängigkeit von Fernsehen und Sponsoren ist selbst in der Zweiten Liga exorbitant, das Wort „Nachhaltigkeit" scheint ein Fremdwort zu sein. Die Liga hat es bisher verpasst, weitsichtig und integrativ zu handeln. Stattdessen ist sie auf dem besten Weg sich zu kannibalisieren. Der Fußball lebt vor allem von den Menschen. Er erfüllt eine gesellschaftliche und soziale Verantwortung, und dieser gilt es jetzt nachzukommen!

Der Ausgang dieses Schauermärchen ist ungewiss. Nur ein Szenario könnte uns die Ungewissheit nehmen: Der Cupsieg. Gerade in Zeiten wie diesen wäre das ein Sieg des ehrlichen Fußballs über das Kommerzprodukt. Das ist keine einfache Mission. Aber bekanntlich stirbt die Hoffnung gerade in einer Krise zuletzt.

PS: Kolportierte Pläne, nur eine begrenzte Anzahl an Personen ins Stadion zu lassen, gehören so schnell schubladisiert, wie sie aus diesen herausgezogen wurden. Gerade im Fußball muss der Grundsatz gelten, dass es zu keiner Privilegierung von bestimmen Personengruppen kommen darf.

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